Einleitung
Ein Wort vorab
Neu hinzugekommen ist eine Würdigung des Fußballpioniers Walther Bensemann, der im Jahr 2023 seinen 150. Geburtstag gefeiert hätte. Außerdem gedenken wir auf besondere Weise der Mannschaft von Schild Bochum und ihrem Kapitän Erich Gottschalk, die vor 85 Jahren die letzte deutsch-jüdische Fußballmeisterschaft auf deutschem Boden für sich entschieden.
Die parallel dazu fertiggestellte klassische Sonderausstellung ist auf 13 Tafeln durch ein hochwertiges modulares Stellwandsystem unkompliziert auf- und abzubauen und kann flexibel jeweiligen räumlichen Gegebenheiten angepasst werden. Durch die Förderungen der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft und der Stadt Dortmund kann eine Ausleihe kostenlos erfolgen. Falls Sie sich für eine Ausleihe der Wanderausstellung in Ihrer Schule, Verein oder Institution interessieren melden Sie sich bitte per E-Mail unter vermittlung@fussballmuseum.de.
Ein weiteres Projekt des Deutschen Fußballmuseums auf dem Gebiet der Erinnerungskultur ist das digitale Lexikon „Niemals vergessen! Das Online-Lexikon verfolgter jüdischer Fußballer“, das – erstmals in dieser Form – die Lebensgeschichten von inzwischen rund 300 verfolgten jüdischen Fußballern zusammenträgt. Es ist hier abrufbar.
IM ABSEITSJüdische Schicksale im deutschen Fußball
ist die Geschichte des deutschen Fußballs nicht denkbar.
Auf ihrer Pionierleistung basieren etliche Vereinsgründungen.
Bis zur „Machtergreifung“ durch Adolf Hitler am 30.1.1933
sind Juden fest in die nationale Fußballkultur integriert.
Im April 1933 erklärt der DFB im vorauseilenden Gehorsam
„Angehörige der jüdischen Rasse (…) in führenden Stellungen der Verbandsinstanzen und der Vereine für nicht tragbar.“ Daraufhin werden jüdische Mitglieder rigoros ausgeschlossen.
Viele wechseln in die Clubs der Schild- und Makkabi-Verbände
und bestreiten eigene Meisterschaften und Pokalwettbewerbe. Parallel dazu verschärfen sich Entrechtung und Ausgrenzung. Mit der Pogromnacht 1938 eskaliert die antisemitische Gewalt. Widerstand und Solidarität mit den Verfolgten ist selten.
Die einzige Rettung vor dem NS-Terrorsystem ist die Flucht.
Hunderttausende in der deutschen Heimat verbleibende Juden werden deportiert und in Vernichtungslagern ermordet.
Mit dem fast vollständigen Auslöschen jüdischen Lebens geraten auch die jüdischen Sportler in Vergessenheit.
Erst seit der Jahrtausendwende gibt es vermehrt Initiativen, ihre Verdienste zu würdigen, ihre Biografien zu erforschen
und sie damit ins öffentliche Bewusstsein zurückzuholen.
Dieser wichtigen Aufarbeitung deutscher Fußballgeschichte
sieht sich die Sonderausstellung besonders verpflichtet.
Walter Bensemann
Walther Bensemann
gest. 12. November 1934 in Montreux
Walther Bensemann ist einer der herausragenden Pioniere des deutschen Fußballs überhaupt. Bereits im Alter von 14 Jahren gründet er mit Mitschülern den Football Club Montreux in der Schweiz. Wenig später wechselt er auf das Gymnasium in Karlsruhe. Damit beginnt seine fußballerische Mission in Deutschland: Bereits kurz nach seiner Ankunft gründet er mit dem International Football Club den ersten Fußballverein in Süddeutschland.
In den folgenden Jahren als Schüler und Student an verschiedenen Universitäten ist er an der Gründung von Fußballvereinen u.a. in Straßburg, Baden-Baden, Frankfurt, Freiburg, Heidelberg, Mannheim, Marburg und München beteiligt. Noch heute bekannte Spitzenklubs wie Eintracht Frankfurt gehen auf von Bensemann gegründete Vereine zurück. Er arrangiert außerdem eine erste internationale Begegnung gegen ein Schweizer Team im deutschen Fußball sowie 1898 ein deutsch-französisches Fußballspiel in Paris.
Darüber hinaus initiiert er weitere internationale Spiele deutscher Teams gegen Mannschaften aus Frankreich und England. Auch an der Gründung des DFB im Januar 1900 in Leipzig ist Walther Bensemann maßgeblich beteiligt. Von ihm soll der Namensvorschlag ‚Deutscher Fußball-Bund‘ stammen.
Die schmerzlichen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges bestärken Bensemann in seiner Überzeugung, mit dem Fußballspiel eine friedensstiftende Idee zu fördern: „Der Sport ist eine Religion, ist vielleicht heute das einzig wahre Verbindungsmittel der Völker und Klassen“. Sprachrohr dieser ‚pazifistischen Sportidee‘ wird die von ihm im Jahre 1920 ins Leben gerufene Fußballzeitschrift ‚kicker‘.
Seine Initiativen beeinflussen die Entwicklung des gesamten deutschen Fußballs maßgeblich. Im Kreise der nationalistisch orientierten DFB-Führung werden die Aktivitäten Bensemanns jedoch mit großem Argwohn beobachtet und stoßen auf zunehmenden Widerstand.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten bleibt Walther Bensemann nur die Flucht ins Exil in die Schweiz. Hier verstirbt er bereits ein Jahr später.
Erich Gottschalk
Erich Gottschalk
gest. 1996 in den Niederlanden
Erich Gottschalk ist Kapitän der Mannschaft, die Bochum im Jahr 1938 zum ersten Deutschen Meistertitel führte. Ausrichter dieser Meisterschaft war jedoch nicht der DFB, sondern der jüdische Schild-Verband.
Auch der 1906 im heutigen Herne geborene Erich Gottschalk beginnt seine Karriere zunächst in einem DFB-Klub: Seit ca. 1918 kickte er für Jugendteams des TuS Bochum, einen Vorgänger des heutigen VfL. Im Jahr 1924 gehört er mit gerade einmal 19 Jahren zu den Gründern von Hakoah Bochum, einem der ersten jüdischen Vereine der Region. Ab 1933 darf dieser Klub keine Spiele mehr gegen nichtjüdische Teams bestreiten. Die Vereine müssen jetzt, streng abgeschirmt von der restlichen Öffentlichkeit, eigene jüdische Meisterschaften austragen.
Ausgerechnet im Schatten zunehmender Repressionen und kurz vor der völligen Katastrophe läuft Gottschalk mit Schild Bochum zu großer Form auf. In der Saison 1937/38 führt er sein Team als Kapitän an die Spitze des jüdischen Fußballs: Im Juni 1938 wird Bochum mit einem 4:1-Sieg gegen Schild Stuttgart im Finalspiel in Köln erstmals Deutscher Meister im Schild-Verband.
Abseits des Fußballplatzes haben sich die Lebensbedingungen für Gottschalk zu diesem Zeitpunkt bereits radikal verschlechtert: In der Pogromnacht 1938 wird sein Geschäft in der Bochumer Innenstadt zerstört und Erich erstmals kurzzeitig inhaftiert. Ende des Jahres flüchtet er mit seiner Frau in die Niederlande, die noch einmal kurzzeitige Sicherheit bietet. Doch im Mai 1940 ist es auch damit vorbei: Einen Tag nach dem Einmarsch deutscher Truppen werden die Gottschalks ins Lager Westerbork verschleppt. Hier lebt das Paar vier Jahre lang zwischen Verzweiflung und Hoffnung: 1941 kommt im Lager Tochter Renée zur Welt.
Wenige Monate vor Kriegsende, als die alliierten Truppen bereits vor Antwerpen stehen, wurden die Gottschalks mit einem der letzten Transporte nach Auschwitz deportiert und für immer auseinandergerissen: Frau Rosa und Tochter Renée werden in den Gaskammern ermordet und Erich überlebt nur, weil er bei einem der gefürchteten ‚Todesmärsche‘ in den letzten Kriegstagen flüchten konnte. Nach Kriegsende musste Erich erfahren, dass auch seine beiden Eltern im KZ Theresienstadt ermordet worden waren.
Physisch wie psychisch gebrochen, kehrt Gottschalk in die Niederlande zurück. 1961 heiratet er ein zweites Mal, wegen seiner traumatischen Shoah-Erfahrungen kann er jedoch beruflich wie privat nie mehr richtig Fuß fassen. Seinen neuen Verwandten erzählt Gottschalk an guten Tagen, er sei vor dem Krieg ein guter Fußballer und sogar Deutscher Meister gewesen. Glauben wollte dem alten Mann diese Geschichte niemand mehr.
Max Girgulski
Max Girgulski
gest. 3. Februar 1983 in Buenos Aires
Girgulski ist seit seiner Kindheit begeisterter Fußballer.
Mit der Schülermannschaft von Eintracht Frankfurt
erringt der Verteidiger 1928 die Gaumeisterschaft.
Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933
wird Girgulski gezwungen, die Eintracht zu verlassen.
Wie viele aus den Stammvereinen gedrängte jüdische Sportler
muss sich Girgulski nun einem jüdischen Verein anschließen.
Ab 1934 läuft das große Talent für Bar Kochba Frankfurt auf.
Zwei Mal wird er mit Bar Kochba Frankfurt Makkabi-Meister,
privat verliert er jedoch nach der Arisierung seines Betriebs
1937 seine Arbeitsstelle als ausgelernter Elektrotechniker.
Ausgegrenzt und bedroht flieht er 1938 nach Buenos Aires.
Dort spielt Girgulski für die Boca Juniors und River Plate,
den Sprung in die erste Mannschaft schafft er jedoch nicht.
Zeit seines Lebens bleibt Max Girgulski Eintracht-Fan.
Deutschen Boden betritt er allerdings nie wieder.
Das Deutsche Fußballmuseum hat im Rahmen des Gedenkens an die Zerschlagung der jüdischen Sportbewegung durch das NS-Regime ein einzigartiges Exponat entgegengenommen. Es handelt sich um das Meistertrikot von Max Girgulski aus dem Jahr 1936.
36 Jahre nach Girgulskis Tod übergab seine Tochter Susana Baron im Beisein von Mark Dainow, dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, das Trikot an Museumsdirektor Manuel Neukirchner. Damit kehrt das Unikat als einzigartiges Zeugnis eines lange vergessenen und verdrängten Kapitels deutscher Fußballgeschichte in seine ursprüngliche Heimat zurück.
Die Geschichte eines TrikotsVon Susana Baron. Gelesen von Till Lieberz-Groß
Ernst Alexander
Ernst Alexander
gest. 28. August 1942 im KZ Auschwitz
Gottfried und Richard Fuchs
Gottfried Fuchs
gest. 25. Februar 1972 in Montreal
Der sechsfache deutsche Nationalspieler jüdischer Herkunft
erzielt zehn seiner 13 Tore in einem einzigen Länderspiel:
Fuchs gelingt der ewige Rekord beim 16:0 gegen Russland während der olympischen Spiele 1912 in Stockholm.
1910 wird er mit dem Karlsruher FV Deutscher Meister,
mit Süddeutschland gewinnt er 1912 den Kronprinzenpokal.
Im Ersten Weltkrieg dient der Patriot an der Westfront
und erhält für seine Tapferkeit hohe Verdienstorden.
1937 ist er gezwungen, aus Nazideutschland zu fliehen.
Über mehrere Länder gelangt Fuchs 1940 nach Kanada.
Ab 1955 pflegt er eine Brieffreundschaft mit Sepp Herberger.
Für den Bundestrainer ist Fuchs das Idol seiner Jugend.
Als ein Akt der Versöhnung schlägt Herberger dem DFB vor,
Fuchs 1972 in das neue Münchner Olympiastadion einzuladen.
Der DFB lehnt ab: man wolle keinen „Präzedenzfall“ schaffen.
Kurz vor Erhalt der Absage stirbt Fuchs an einem Herzinfarkt.
Im Januar 2020 fand im Deutschen Fußballmuseum ein Gedenkkonzert zu Ehren der Gebrüder Fuchs statt. Gottfried erzielte bei den Olympischen Spielen 1912 beim bis heute höchsten Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Russland (16:0) zehn Tore. Sein Bruder Richard war Komponist, dessen Werke weder in Nazi-Deutschland noch später im neuseeländischen Exil gespielt, sondern erst jetzt in Dortmund uraufgeführt worden sind.
Die Tochter von Richard Fuchs erzählt von ihrem Vater und ihrem Onkel. Sie lebt in Neuseeland und hat das Gedenkkonzert im Fußballmuseum digital verfolgt.
Erinnerungen aus dem Exil
Kurt Landauer
Kurt Landauer
gest. 21. Dezember 1961 in München
Landauer zählt zu den bedeutendsten Figuren des FC Bayern. 1901 beginnt er als Torhüter in der zweiten Mannschaft.
Von 1913 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914
amtiert er als Präsident, wie auch nach Kriegsende ab 1919. Unter Landauer erlebt der Club seinen sportlichen Aufstieg und gewinnt 1932 erstmals die Deutsche Meisterschaft.
Mit der NS-Machtergreifung legt Landauer sein Amt nieder. Wegen seines jüdischen Glaubens verliert er seine Arbeit
und wird 1938 für vier Wochen lang im KZ Dachau interniert.
Nach seiner Entlassung flieht er im Mai 1939 in die Schweiz, vier seiner Geschwister werden vom NS-Regime ermordet.
Im Juni 1947 kehrt Landauer nach Deutschland zurück
und wird im August erneut Präsident des FC Bayern München. 1951 wählen ihn die Vereinsmitglieder überraschend ab.
Dennoch nimmt Landauer weiter am Clubgeschehen teil.
1955 wendet er mit Privatgeldern die drohende Insolvenz ab.
Eugen Salomon
Eugen Salomon
gest. 14. November 1942 im KZ Auschwitz
Kurz nach Beitritt zum 1. Mainzer Fußballclub Hassia 05
wird Salomon 1905 als 17-Jähriger zum Vorsitzenden gewählt.
Nach mehreren Fusionen entsteht 1919 der 1. FSV Mainz 05.
Salomon bleibt einer der wichtigsten Club-Repräsentanten:
Als Mitglied des Vereinsvorstands und großzügiger Mäzen
trägt er zum sportlichen Erfolg in den 1920er-Jahren bei.
Bereits 1933 wird Salomon aus dem Verein ausgeschlossen.
Noch im selben Jahr flieht er ins französische Lothringen.
Scheinbar in Sicherheit baut er sich eine neue Existenz auf.
Mit Kriegsbeginn 1939 werden grenznahe Regionen evakuiert
und Salomon muss in das Landesinnere umsiedeln,
wo ihn deutsche Besatzer im Oktober 1942 verhaften lassen.
Seine Frau und Kinder retten sich in den unbesetzten Süden.
Im November 1942 wird Salomon ins KZ Auschwitz deportiert.
Von den 1.000 Personen seines Transports überleben nur vier.
Julius Hirsch
Julius Hirsch
zum 8. Mai 1945 für tot erklärt
Hirsch bestreitet von 1911 bis 1913 sieben Länderspiele.
Er ist neben Gottfried Fuchs der einzige jüdische Spieler,
der jemals für die deutsche Nationalmannschaft aufläuft.
Der Stürmer gewinnt zwei Mal die Deutsche Meisterschaft
– 1910 mit dem Karlsruher FV und 1914 mit der SpVgg Fürth –
und mit Süddeutschland 1912 den Kronprinzenpokal.
Im Ersten Weltkrieg erhält er das Eiserne Kreuz II. Klasse.
1933 grenzt auch sein Heimatverein jüdische Mitglieder aus.
Der KFV-Ehrenspielführer sieht sich zum Austritt genötigt.
Entrechtung und vergebliche Arbeitssuche im In- und Ausland
sind die Ursachen für einen Selbstmordversuch im Jahr 1938.
Er lässt sich 1942 von seiner evangelischen Frau scheiden,
um seine Familie vor weiterer Verfolgung zu bewahren.
Julius Hirsch wird im März 1943 ins KZ Auschwitz deportiert.
Eine beim Halt in Dortmund versendete Karte an seine Tochter
ist ein letztes Lebenszeichen kurz vor seiner Ermordung.